Ruhe im Stall

Wie Tierarzt Dr. Ulrich es auf Anhieb schaffte, im niedersächsischen Tostedt Fremde als Vertraute zu gewinnen – und einer Stute wieder zum Genuss von harten Brötchen verhalf

Alpaca_UlrichTierarzt müsste man sein. Dr. Bernhard Ulrich lässt sich im Schatten einer alten Kastanie nieder, durch deren Blätterdach die Sonne blinzelt. Vor ihm stehen Schokoladenkekse und ein Becher Milchkaffee. Seine Arbeit auf dem Hof von Martina und Ingo ist getan. Filou, der eineinhalbjährige Alpaca-Bock steht zwar noch etwas belämmert im Stall, eben von Dr. Ulrich kastriert. Den Umständen entsprechend jedoch geht es dem Kleinen bestens.

„Noch einen Kaffee, Doktor?“ Soviel Zeit muss sein. Im Garten plaudert Hobbyzüchter Ingo darüber, wie er als Deutschstämmiger in Ecuador aufgewachsen ist und sich in Alpacas verliebt hat. Und Dr. Ulrich hört ihm mit aller Seelenruhe zu: Wie die Sehnsucht nach den Anden Ingo vor elf Jahren eine 23köpfige Herde beschert hat. Dass seine Südamerikaner bei ihm gut aufgehoben seien und sich momentan auf der Weide hinterm Bauernhaus sonnten. Hier, in der schönen heilen Welt von Königsmoor, einem kleinen Flecken in Niedersachsen, 50 Kilometer südwestlich von Hamburg.

Verschnaufpausen wie diese unter der Kastanie liebt Dr. Ulrich, nutzt sie für Gespräche mit seinen Klienten, die zwar ihre Tiere geheilt wissen wollen, daneben aber auch die persönliche Nähe zu ihrem Arzt als Vertrauten suchen.

Pferd_Ulrich_ReinhardtWie heute Morgen auf dem Reiterhof etwa. Bei der Visite der 25-jährigen Peggy und ihren Besitzern. Die Norweger Fjordstute hatte seit Wochen ihre Lieblings-Häppchen, harte Brötchen, verschmäht. Magen-Darm-Probleme oder gar Appetitlosigkeit wegen einer bösartigen, versteckten Krankheit? Ein Grund zur Besorgnis. Und um Dr. Ulrich um Hilfe zu rufen. Der reist zusammen mit seiner Partnerin, Dr. Stefanie Reinhardt an. Beide untersuchen erst einmal das Gebiss des Pferdes. Und geben gleich Entwarnung: Das Tier leidet vermutlich unter schlimmen Zahnschmerzen, so wie es in dessen Maul ausschaut. Mit einer leichten Sedation und einem Sortiment verschiedener Zahnfeilen schaffen sie Abhilfe. Die Besitzer sind erleichtert. Ein paar Tage leichte Kost, und ihre Peggy wird wieder mit Lust harte Brötchen verdrücken können. Die Behandlung des Fjord-Pferdes dauerte etwa eine halbe Stunde, das anschließende Gespräch mit den Besitzern ähnlich lang.

Erst sieben Monate ist es her, dass sich Dr. Bernhard Ulrich als selbstständiger Tierarzt im niedersächsischen Tostedt niedergelassen hat. Zuvor arbeitete der promovierte Tierarzt in einer Praxis im Rheinland, betreute dort überweigend Pferde und die verbliebenen Rinderbetriebe. Jahrelang. Als Perspektive wurde ihm angeboten, den Praxisbereich „Großtiere“ in Eigenregie zu übernehmen. Was nichts anderes hieß, als sein Privatleben künftig der Praxis zu widmen: „Als Alleinkämpfer bist du rund um die Uhr im Dienst, sieben Tage die Woche, das ganze Jahr über, auch sonn- und feiertags Außerdem nimmt die Zahl der kleinen und mittelgroßen Landwirtschaftsbetriebe kontinuierlich ab, du investiert also in eine kränkelnde Zunft.“

Gründercoaching für Tierärzte
Was war die Alternative? Ulrich wusste nur, dass er etwas ändern musste. Jetzt und nicht in zehn Jahren. Also kündigte er, meldete sich arbeitslos und suchte nach einem Weg aus seiner kleinen Krise. Die vermeintliche Lösung: Tierarzt mit Schwerpunkt Pferdeheilkunde. Therapie und Prophylaxe auf höchstem Niveau. Mit modernstem Gerät und alternativmedizinischen Methoden. Standort: Bergisches Land. Zusammen mit dem Münchener Existenzgründer-Coach Joachim Fischer verfasste er einen Business-Plan und eine Liquiditätsberechnung. Mit Erfolg. Gleich zwei Großbanken versprachen Geld für nötige Investitionen. Auch das Wirtschaftsministerium gab grünes Licht für einen Gründerzuschuss. Nichts konnte mehr schief gehen. Der Zufall jedoch wollte alles anders.

Ulrich hatte eine Anzeige im Deutschen Tierärzteblatt gelesen. Da suchte eine Tierärztin im niedersächsischen Tostedt einen Kollegen als Teilhaber. Und plötzlich wusste Ulrich, was er im Grunde die ganze Zeit über wirklich wollte: Umziehen, weg vom Rheinland, rauf nach Norddeutschland. Tostedt, das lag doch ganz in der Nähe von Hamburg, wo er aufgewachsen und eigentlich zu Hause war. Und darüber hinaus in Dithmarschen, genau dort, wo er als junger Tierarzt seine ersten Erfahrungen gesammelt hatte. Also klemmte er sich hinter sein Steuer und stoppte vor einer alteingesessenen Praxis – mit passablen Umsätzen und ausgeglichenen Bilanzen. Außerdem erkannte er sofort, dass ihn hier ein abwechslungsreicher Alltag erwartete: Pferde, Kühe, Lamas, Alpacas, Hängebauchschweine, ein Känguru und ein Großkamel galt es künftig zu versorgen. Mit seiner Kollegin in spe verstand er sich auf Anhieb. Und die Gegend, tja, die war eben die alte Heimat. Offen blieb allein die Frage, ob ihn die Menschen hier als Tierarzt akzeptieren würden.

Mittlerweile braucht Ulrich auf seinen Visiten nicht einmal mehr seinen Navigator im Auto. Auch jetzt nicht. Der Allradwagen schnurrt übers flache Land, fährt vorbei an Birken und sattem Weideland und biegt nach rechts in einen kleinen Feldweg ein. Am Ende wartet Gerd K., ein Jungbauer mit 125 Hektar Land und 520 Rinder im artgerecht ausgebauten Stall.  K. gehört mit 750 000 Euro Umsatz pro Jahr zu den drei größten Ulrich_Rindermilcherzeugenden Betrieben im Landkreis. Um gut wirtschaften zu können, braucht er gesunde Tiere, die reichlich Milch geben.

Ulrich geht nach hinten. Zwei Kühe soll er heute besamen und nachschauen ob zwei weitere trächtig sind. Alltagsroutine für ihn. K. erzählt derweil vom Wechsel in der Praxis – aus seiner Sicht. Natürlich, sagt er, hat das es seine Zeit gebraucht, bis er zu „dem Neuen“ Vertrauen gefasst hat. Schließlich konnte er mit dem alten Tierarzt gut: Ein kluger Mensch, der immer überlegt gehandelt hat.“ Und Ulrich? „Der ist dem ähnlich. Nimmt sich Zeit, hört sich unsere Sorgen genau an und denkt nachhaltig. Dann laboriert er nicht lang herum, und trifft schnelle Entscheidungen. Auch wenn mal operiert werden muss.“ Und wenn er mit dem Neuen nicht zurechtgekommen wäre? Dann hätte er sich in der Gegend nach einem Kollegen umgeschaut: „Davon gibt es heute genug.“

Dr. Bernhard Ulrich ist hier oben angekommen. Mit seinem medizinischen Können, was Tiere betrifft und mit seiner Art, auf Menschen einzugehen.

Michael Dietrich

Kontakdaten
Tierärztliche Gemeinschaftspraxis Tostedt
Dr. Stefanie Reinhardt und Dr. Bernhard Ulrich
Im Stocken 8a
21255 Tostedt
Telefon:           + 49 (0) 4182-1241
Fax.                 + 49 (0) 4182-22925

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